5. Etappe, von Solothurn nach Marin-Epagnier

(Koordinaten des Zielorts: Generalkarte -  CH 1:47°05' Nord, 7°00' Ost)

Mittwoch 28.5.86

Auf der A5 geht's zunächst bei starkem Verkehr über Grenchen nach Biel. Es bleibt abgesehen von ein paar kleineren Schauern überwiegend trocken. Kurz vor Biel lässt sich sogar die Sonne blicken. Die überraschende Gunst des Himmels kann ich jetzt gut gebrauchen.

Mittagspause
Mittagspause

In einem kleinen Feldweg abseits der Straße lege ich, so um die Mittagszeit, eine kurze Pause ein um meinen rebellierenden Magen, der sich seit dem Frühstück etwas vernachlässigt fühlt, zu besänftigen. In Biel verlasse ich die A5 und setze meinen Weg auf der wesentlich ruhigeren Straße entlang des Südufers des Bieler Sees fort. Die Straße verläuft parallel zu einem Bahngeleise in einiger Entfernung vom Ufer, weshalb der See mir weitgehend verborgen bleibt.

Inzwischen hat sich wieder einmal ein Gewitter zusammengebraut. Aus bedrohlich schwarzen Wolkenungetümen zucken schon die ersten Blitze. Urplötzlich kommt Wind auf und treibt mir Sand in die Augen. Ein Gewitter auf freier Strecke kann sehr unangenehm sein, doch bis zur nächsten Ortschaft ist es nicht mehr weit. Kräftig trete ich in die Pedale. Die Mühe ist leider vergebens! Die ersten Häuser von Erlach sind schon in Sicht, da erwischt es mich voll und schlagartig. Ich finde keine Zeit mehr mir das Regenzeug überzustreifen. Im Nu bin ich völlig durchnässt. Ich flüchte unter die Markise eines Uhrenladens. Sie bietet nur spärlichen Schutz vor den prasselnden Regenmassen. Hastig wechsle ich das nasse Trikot. Das Unwetter ist nur von kurzer Dauer, so schnell wie es gekommen war verzieht es sich auch wieder. Der Regen lässt nach, aber Wetterleuchten und fernes Donnergrollen lassen keine echte Wetterbesserung erwarten. Vorsichtig geworden beschließe ich, in der nächsten größeren Ortschaft, in Marin-Epagnier, die heutige Etappe ausklingen zu lassen.

Im 'Hotel du Poisson' bekomme ich ein übergroßes Zimmer mit einem riesigen Bad. Die schweizerische Armee hätte hier gut und gerne ein ganzes Bataillon stationieren können. Nach dem Duschen unternehme noch einen kleinen Spaziergang zum 'Lac de Neuchâtel', zum Neuenburger See. Danach habe ich keine Lust mehr noch groß auszugehen und beschließe das Abendessen im Hotel einzunehmen. Es gibt, nomen est omen, frischen Fisch aus dem See. Obwohl ich im allgemeinen nicht gerade ein Fan dieser Grätentorpedos bin, finde ich die Zubereitung doch ganz passabel. Zur Abrundung des Abends und weil Fisch schwimmen muss, gönne ich mir noch einige Schöppchen Neuchâteller Weißweins. Er schmeckt sehr natürlich und fruchtig, wenn auch etwas leicht, ja fast dünn. Aber er trinkt sich gut und lässt die Strapazen des Tages und die feuchten Wetterkapriolen vergessen. Man könnte ihn vermutlich eimerweise trinken und dann immer noch fest im Sattel sitzen.

Es muss schon weit nach Mitternacht sein, da rumpelt es plötzlich heftig an der Tür. Sie wird aufgestoßen und 10 Mann in furchterregender Kriegsbemalung stürmen herein. Sie tragen schwarzgelbgrünbraune Kampfanzüge und sind bis an die Zähne bewaffnet. Auf ihren olivgrünen Stahlhelmen prangen prächtige Gamsbärte die bei jeder Bewegung lustig hin und her wippen. Polternd nehmen sie um mein Bett herum Aufstellung und auf einen Wink ihres Häuptlings hin stehen sie stramm und präsentieren die Gewehre. Der Anführer richtet seine Maschinenpistole auf mich und macht mir klar, dass seine Truppe hier Quartier bezogen hätte und ich als Zivilist in diesem Zimmer nichts zu suchen habe. Dann will er wissen, ob ich denn überhaupt gedient hätte. Als ich nicht gleich antworte, hebt er sein Schießgerät und jagt eine Gewehrsalve in die Decke, die daraufhin unter gewaltigem Donner einstürzt.

Von diesem Lärm geweckt schrecke ich aus dem Schlaf hoch. Draußen geht ein heftiges Gewitter nieder. Blitze erhellen das Zimmer. Die Schweizer Armee hat sich wieder zurückgezogen. Beruhigt drehe ich mich zur Seite, wundere mich noch etwas über die Gamsbärte und nehme mir für den Rest der Nacht fest vor, keinen solchen Unsinn mehr zu träumen.

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